Ich bringe es auf eine kurze Formel:
Meine Geschichten sind wie meine Bilder und meine Bilder sind wie meine Geschichten. Aber natürlich ist es viel komplizierter.
Ein Künstler – was ist das ? Wer ist das ? Ist jeder ein Künstler ? Vielleicht, mit Ausnahme von Joseph Beuys. Mir fehlt da dieser Respekt. Kunst, was soll denn das sein ? Ich weiss nicht, wer oder was ein Künstler ist, mir ist klar, dass, wenn einer künstlerisch arbeitet, diese Tätigkeit zuerst für sich selber machen sollte und nicht für eine Oeffentlichkeit. Wer künstlerisch arbeitet, ja, ich benutze jetzt diesen Begriff schon wieder, also, wer künstlerisch arbeitet, sollte den Anschein von „Kunst“ vermeiden. Man ist im Atelier, in der Werkstatt und macht etwas, man macht den Finger krumm und etwas passiert, aber muss man immer gleich nach „Kunst“ schielen ? Es geschieht etwas, aber man hat im ersten Moment keine Ahnung, worum es geht. Zuhause ist eine Idee vorhanden, tragt sie im Kopf herum, geht an die Wirkungsstätte und setzt die Idee um. Und dann ? Nichts stimmt, was sich jetzt auf dem Papier oder auf der Leinwand oder im Computer befindet. Im Kopf war eine andere Welt, eine Kopfwelt, der man gerne folgen möchte, weil man gelernt hat, den Kopf zu gebrauchen, weil man es dann weit bringt im Leben. Das nennt man Erziehung. Erfolg, Geld, Ansehen. Ist natürlich Quatsch, Unsinn. Man stecke den Kopf in einen Eimer gefüllt mit kaltem Wasser, öffne die Augen und schon erkennt man, dass da noch etwas anderes sein muss, als die Ränder des Eimers. Experimentieren ist angesagt, aber das Experiment hat, wie man gelernt hat, in der Wirklichkeit nichts zu suchen. Das Experiment soll bloss ein Versuch sein. Wieder Quatsch. Experimentieren beinhaltet bereits seine Gültigkeit. Wer nichts ausprobiert, hält an Mustern fest, die er oder sie, sich in den Kopf gesteckt hat, sich hat in den Kopf stecken lassen, da es bequem ist, Regeln zu folgen, zu befolgen. Wer bestimmt die Regeln ?
Man mache sich seine eigenen Regeln zum Vorbild.
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Nicht jeder ist ein Künstler
Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung „Poröse Passanten“ von Fritz Sauter
in der Fassbeiz Schaffhausen am 19. Juli 2017.
Von Peter Bichsel, Zürich
Fritz Sauter eckt an. Diese Feststellung gehört mittlerweile zum Grundtenor praktisch sämtlicher Äusserungen über den Schaffhauser Künstler und Autor, egal ob sie von journalistischer, obrigkeitlicher oder kunstkritischer Warte stammen. Dass Fritz Sauter kein Angepasster ist in seiner Heimatstadt, ist bekannt. Fritz Sauter eckt an. Indem ich diesen Satz an den Anfang meiner kurzen Ansprache heute Abend anlässlich der Eröffnung des Höflisommers in der Fassbeiz stelle, erzähle ich nichts Neues, schon gar nicht über Fritz. Im Gegenteil: indem ich den Allgemeinplatz vom Anecken des Fritz Sauter wiederhole, trage ich selber nochmals zu einer Erkenntnis bei, die längst keine mehr ist, sondern eine Phrase, die im Grunde genommen nichts anderes mehr aussagt, als dass der, der sie verwendet, zu Fritz Sauter nichts anderes zu sagen weiss. Mit der Eigenschaft des Aneckens ist er beschrieben, charakterisiert, schubladisiert. Im Wissen, dass Fritz Sauter aneckt, kann man sich, je nach eigener Haltung, von ihm abgrenzen oder sich mit ihm identifizieren. Und das ist recht praktisch. Doch hat man den Künstler Fritz Sauter damit wirklich erfasst? Bleibt da nicht einiges auf der Strecke? Seine Fantasie? Seine Treffsicherheit? Seine Kreativität? Sein unablässiges Produzieren? Sein Witz? Seine Farben? Sein Können und seine Ausdruckskraft?
Über all’ diese Eigenschaften zu reden würde den Rahmen dieser kurzen Ansprache sprengen. Ich schlage Ihnen deshalb vor, dass Sie, statt lange mir zuzuhören, Fritz’ Bilder anschauen. Denn alle Eigenschaften des Künstlers Fritz Sauter sprechen direkt aus seinen Bildern. Wenn Sie wissen wollen, wer Fritz Sauter ist, dann schauen Sie einfach gut hin. Schauen Sie lange hin, schauen Sie genau hin. Sie werden bald erkennen, dass hier einer am Werk ist, der sich auf Farben und Formen versteht. So formlos seine Figuren uns erscheinen, so präzise sind sie. Was auf ersten Blick den Anschein erweckt, es seien Kinderzeichnungen, weil die Motive etwas ungelenk und naiv daherkommen, sind der Ausdruck eines Zeichners, der Stift und Pinsel virtuos beherrscht. Wer schon einmal die Gelegenheit hatte, Fritz beim Zeichnen zuzusehen, der weiss, wovon ich spreche. In unglaublicher Geschwindigkeit und traumhafter Sicherheit gelingt es ihm, gültige und aussagekräftige Figuren aufs Papier zu bringen. Dass er dabei so tut, als wäre das Ganze zufällig und unverbindlich, ist reine Täuschung. Denn die Freiheit der Linienführung oder der Motivfindung darf nicht mit Zufälligkeit verwechselt werden. Das wäre einem Irrtum aufgesessen, mit dem Fritz Sauter manchmal maliziös spielt. Genauso wie wenn er einer Journalistin in die Feder diktiert, der Titel der Ausstellung „Poröse Passanten“ sei rein zufällig gewählt, er hätte auch „Amouröse Passanten“ lauten können. Ob absichtlich oder nicht, Fritz Sauter führt die arme Journalistin mit einer solchen Aussage in die Irre. Zwar ist der Titel „Poröse Passanten“ inhaltlich betrachtet für die Ausstellung nicht zwingend, doch er ist eben treffender, expressiver und hintergründiger, als „Amouröse Passanten“ – „Poröse Passanten“ ist lautlich auf den Punkt gebracht mittels Alliteration der beiden „P“ und die dem Wortpaar zugrunde liegende jambische Struktur macht den Titel auch rhythmisch perfekt. Genau wie mit dem Titel der Ausstellung verhält es sich auch mit Fritz Sauters Bildern. Obwohl frei erfunden und gezeichnet sind sie kompositorisch von einer Treffsicherheit, die alles Zufällige hinter sich lässt.
Wenn Sie Fritz Sauters Bilder (und Texte!) genau betrachten, werden Sie noch etwas anderes erkennen: dass hier nämlich einer am Werk ist, der Wort- und Bildwitz beherrscht. Und dies nicht nur aus Lust an der Sprachspielerei sondern immer auch mit dem Willen zur Botschaft. In der Tradition des berühmten Fragebogens von Max Frisch hat Fritz Sauter einen eigenen Fragebogen entworfen, der heute Abend auch aufliegt. Anders als die legendären, zu Schulstoff gewordenen Fragen Max Frischs zielen Fritz Sauters Fragen weniger ins Persönlich-Soziale als ins Öffentlich-Politische: Scheinbar harmlose Fragen wie „Können Sie ohne Kopfkissen schlafen?“ oder „Träumen Sie von Giraffen?“ stehen bei Fritz Sauter neben sehr existentiellen Fragen wie „Gibt es zu viele Menschen?“ oder „Sind Sie überflüssig?“. Dann gibt es Fragen, die stutzig machen: „Gibt es ein Leben vor dem Leben?“. – „Vor dem Leben?“ Halt – die Frage heisst doch „gibt es ein Leben nach dem Tod“. Nein, Sie haben richtig gelesen, Fritz Sauter fragt, ob es ein Leben vor dem Leben gebe. Hat vor ihm schon jemand diese existentielle Frage gestellt?
Bei den Fragen „Können Sie den Boden mit den Fingerspitzen berühren, ohne sich zu krümmen?“ oder „Braucht es Sammelstellen für Tischecken?“, kippt die Lage ins Absurde. Wer solche Fragen stellt, und das tut Fritz Sauter, auch in seinen Bildern, der hat begriffen, dass es Fragen gibt, die mehr Sprengkraft haben, also solche, die rational gesteuertem Denken entspringen. Hinter der vordergründigen Sinnlosigkeit solcher absurder Fragen beginnt die Sphäre des Hintersinnigen und Tiefsinnigen und damit die Gedankenwelt des Fritz Sauter. Als Mensch und Künstler stellt er das Vordergründige in Frage und gewinnt damit neuen Raum, neues Terrain, auf dem sich alternative Entwürfe zu unserer rationalen Gedankenwelt ausbreiten können.
Mit dem Satz „Jeder Mensch ist ein Künstler“ hat sich Joseph Beuys ins Gedächtnis der Nachwelt eingeprägt. Fritz Sauter nimmt diesen Satz auf, hängt aber das Suggestiv-Fragewort an: „Tatsächlich?“. Sauter kontert damit Joseph Beuys ganz subtil: NEIN, NICHT JEDER MENSCH IST EIN KÜNSTLER! Nicht jedes Kind kann so malen wie Fritz Sauter, nicht jeder Absolvent einer Kunstschule kann den Zeichenstift so führen wie Fritz Sauter und nicht jeder, der Schreiben gelernt hat, beherrscht die Bild- und die Buchstabensprache so virtuos wie Fritz Sauter.
Fritz Sauter eckt an. Ja, aber er kann auch mehr als nur das, er kann viel mehr!
19. Juli 2017.